Medizin als Informationstechnologie

Die DNA speichert den Code unseres Körpers ähnlich wie die Bits und Bytes im Computer. Die Medizin wird dadurch zur Informationstechnologie mit exponentieller Entwicklung.

Die Geschichte der Medizin ist lang. Bereits aus dem Alten Orient sind die ältesten Schriften zu Arznei- und Zaubermitteln, aber auch rechtliche Regelungen für den Arztberuf bekannt. Und auch im alten Ägypten existierte bereits ein ausdifferenziertes Spezialistentum unter den Heilern, die teilweise auch in eine ärztliche Beamten-Hierarchie eingegliedert waren.1

Gebracht haben die damaligen Bemühungen natürlich nur sehr wenig. Die damals verwendeten Heilmethoden hatten nicht wirklich einen therapeutischen Effekt. Bestenfalls konnten gewisse Symptome zeitweise gelindert werden, oder es konnte eine Besserung aufgrund des Placebo-Effekts (eine Wirkung, nur deshalb, weil man an etwas glaubt) erreicht werden.

Im 19. Jahrhundert konnte man schließlich echte Erfolge vorweisen, z.B. durch die Entwicklung von Impfstoffen gegen Milzbrand und Tollwut durch Louis Pasteur oder durch die Entdeckung der Röntgenstrahlung durch Wilhelm Conrad Röntgen.2

Erst ab dem 20. Jahrhundert sind viele der medizinischen Entdeckungen gemacht worden, auf denen unser heutiges Gesundheitssystem basiert. Beispiele dafür sind die Entdeckung der Blutgruppen, Behandlung mit Penicillin, Anwendung von Antibiotika bis hin zu Techniken wie Magnetresonanztomographien, Herzschrittmachern, Transplantationen von Organen und Chemotherapien.3

Doch erst im Jahr 1990 wurde mit dem "Humangenomprojekt" ein internationales Forschungsprojekt gegründet, mit dem Ziel, das Genom des Menschen vollständig zu entschlüsseln. Nach mehr als zehn Jahren Laufzeit wurde schließlich im Jahr 2001 die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms bzw. im Jahr 2003 die endgültige Fertigstellung des Projekts verkündet.4

Erst dadurch wurde der wesentliche Schritt der Medizin hin zur Informationstechnologie vollzogen. Jetzt hat man die Erkenntnis, dass im Innersten unserer Körperzellen die Information des Lebens in Form von Basenpaaren in der DNA gespeichert ist, ähnlich wie in unseren Computern die Daten als Bits und Bytes gespeichert werden.

Eine bekannte Regelmäßigkeit in der Informationstechnik ist das sogenannte "Mooresche Gesetz", welches besagt, dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise mit minimalen Komponentenkosten etwa alle 12 bis 24 Monate regelmäßig verdoppelt.5 Diese exponentielle Steigerung der Leistung (bzw. im Umkehrschluss der exponentielle Preisverfall pro konstanter Leistungseinheit) hat die unglaubliche Entwicklung in der Informationstechnik (die oben beschriebene Entwicklung vom ersten primitiven und teuren Computer bis hin zum heutigen leistungsfähigen und günstigen Heimcomputer oder Smartphone) in enorm kurzer Zeit möglich gemacht. Denn wenn man eine konstante Verdopplungsrate der Leistungsfähigkeit hat, dann benötigt man nur 10 Verdopplungen, um die Leistungsfähigkeit mehr als zu vertausendfachen, denn 2 hoch 10 ist 1024. Nach 20 Verdopplungen hat man die Leistungsfähigkeit demnach um den Faktor einer Million, nach 30 Verdopplungen um den Faktor einer Milliarde gesteigert.

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Abbildung: Bei exponentiellem Wachstum (grün) verläuft die Entwicklung zuerst langsam und steigt dann enorm an

Ähnlich dazu ist auch bei der Technologie zur DNA-Sequenzierung eine annähernd exponentielle Leistungssteigerung (bzw. ein exponentieller Preisverfall je Basenpaar) zu beobachten. Das Humangenomprojekt hat insgesamt Kosten in Höhe von etwa 2,7 Milliarden Dollar verursacht, um das menschliche Genom zu sequenzieren.6 Im Jahr 2001 kostete die Sequenzierung eines Genoms etwa 100 Millionen Dollar, im Jahr 2019 hingegen nur noch etwas über 100 Dollar.7 Das ist ein Preisverfall (oder eine Leistungssteigerung je Preiseinheit) um den Faktor eine Million in nur 18 Jahren!

Aber es genügt nicht, wenn man den DNA-Code nur möglichst günstig lesen (sequenzieren) kann. Um geeignete Therapien entwickeln zu können, muss man diesen natürlich auch in den einzelnen Zellen schreiben (synthetisieren) bzw. verändern können. Auch hier gibt es beeindruckende Fortschritte in den letzten Jahren.

Im Jahr 2012 wurde durch eine Arbeitsgruppe um Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna die sogenannte "CRISPR/Cas-Methode" veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine relativ einfache und günstige molekularbiologische Methode, um die DNA gezielt schneiden und verändern zu können ("Genome Editing").8 Diese Methode hat seitdem Einzug in viele Labore gehalten und die Gentechnik in nur wenigen Jahren geradezu revolutioniert.

Wir werden an geeigneter Stelle noch detaillierter darauf eingehen. An dieser Stelle ist es wichtig, unsere einzigartigen Chancen zu verstehen: Einen deutlichen Fortschritt zum Verlangsamen, Aufhalten oder Rückgängig machen des Alterns konnte es bisher nicht geben, weil die dafür notwendigen Basistechnologien erst vor relativ kurzer Zeit entdeckt wurden bzw. möglicherweise einige davon auch erst noch entdeckt werden müssen. Wenn die medizinischen Fortschritte auf diesem Gebiet jetzt jedoch den Gesetzmäßigkeiten der Informationstechnik folgen, dann können wir uns in relativ kurzer Zeit auf unglaubliche Entwicklungen in diesem Gebiet freuen.

Es ist bildlich gesprochen in etwa vergleichbar damit, dass man zuerst lesen und schreiben lernen muss, damit man ein Buch verfassen kann (oder besser gesagt: den Inhalt eines bestehenden Buches verändern kann). Lesen und schreiben haben wir inzwischen gelernt. Jetzt geht es darum, diese Fähigkeiten noch zu verbessern, und uns Gedanken über den Inhalt zu machen, den wir schreiben oder verändern wollen.

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Abbildung: Medizin entwickelt sich hin zur Informationstechnologie (Symbolbild)

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Medizin#Medizin_im_Alten_Orient_und_im_Alten_%C3%84gypten

Seite "Geschichte der Medizin". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Oktober 2020, 06:45 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Geschichte_der_Medizin&oldid=204469370 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:58 UTC)

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Zeittafel_medizinischer_Fortschritte#Moderne

Seite "Zeittafel medizinischer Fortschritte". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 6. August 2020, 16:33 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Zeittafel_medizinischer_Fortschritte&oldid=202552475 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:58 UTC)

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Zeittafel_medizinischer_Fortschritte#20._Jahrhundert

Seite "Zeittafel medizinischer Fortschritte". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 6. August 2020, 16:33 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Zeittafel_medizinischer_Fortschritte&oldid=202552475 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:58 UTC)

4 https://de.wikipedia.org/wiki/Humangenomprojekt

Seite "Humangenomprojekt". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 4. August 2020, 11:57 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Humangenomprojekt&oldid=202492666 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:58 UTC)

5 https://de.wikipedia.org/wiki/Mooresches_Gesetz

Seite "Mooresches Gesetz". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. Oktober 2020, 07:42 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Mooresches_Gesetz&oldid=204198377 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:59 UTC)

6 https://www.genome.gov/human-genome-project/Completion-FAQ

Human Genome Project FAQ, Autor: National Human Genome Research Institute, Stand: 14.02.2020, Abgerufen: 08.11.2020

7 https://www.genome.gov/about-genomics/fact-sheets/Sequencing-Human-Genome-cost

The Cost of Sequencing a Human Genome, Autor: National Human Genome Research Institute, Stand: 25.08.2020, Abgerufen: 08.11.2020

8 https://de.wikipedia.org/wiki/CRISPR/Cas-Methode

Seite "CRISPR/Cas-Methode". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 8. Oktober 2020, 06:26 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=CRISPR/Cas-Methode&oldid=204358834 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:59 UTC)