Epigenetik: Ein Code über dem Code

Nicht alle Zellen sind gleich, obwohl sie den gleichen Bauplan haben. Die Epigenetik hebt unterschiedliche Bereiche auf der DNA als besonders wichtig oder unwichtig hervor.

Offensichtlich ist es so, dass nicht alle Zellen in unserem Körper gleich sind. Eine Hautzelle erfüllt beispielsweise ganz andere Aufgaben wie eine Blutzelle oder eine Gehirnzelle. Dies ist erstaunlich, weil grundsätzlich alle Zellen im Körper eines Menschen den gleichen Bauplan (die gleiche DNA) haben (wenn man von Mutationen und Fehlern beim Kopiervorgang einmal absieht). Wie kommt es also zu diesen Unterschieden? Warum sind nicht alle Zellen völlig identisch, wenn diese doch alle nach dem selben Bauplan erstellt werden? Die Erklärung hierfür liefert die Epigenetik ("epi" = altgriechisch für "dazu" oder "außerdem").1

Wenn die erste Zelle nach der Befruchtung (Zygote) beginnt, sich fortlaufend zu teilen, sind dabei zunächst alle daraus entstehenden Zellen identisch. Jede von diesen Zellen ist "omnipotent" bzw. "totipotent", also alleine in der Lage, einen kompletten Organismus hervorzubringen. Doch schon nach etwa drei Zellteilungen (man spricht dabei vom "8-Zell-Stadium") beginnen sich die Zellen auf unterschiedliche Aufgaben zu spezialisieren (man nennt dies "pluripotent"), und haben nur noch ein eingeschränktes Entwicklungspotential. Dabei bleibt der Bauplan (die DNA-Sequenz) weiterhin in allen Zellen grundsätzlich derselbe. Allerdings kommt es hier zu Anweisungen, dass nicht alle Teile des Bauplans gleich behandelt werden sollen. Gewisse Teile des Erbguts werden also entweder stillgelegt oder aber auch bevorzugt behandelt (leichter "transkribiert"). Je mehr Zellteilungen durchlaufen werden, umso mehr spezialisieren sich die Zellen auf bestimmte Aufgaben, bis die meisten davon schließlich fest für ihre eigentliche Funktion programmiert sind ("unipotent").2

Die Festlegung, welche Teile des Bauplans stillgelegt oder bevorzugt behandelt werden sollen (also einen Einfluss auf die Transkription haben), ist die Aufgabe der Epigenetik. Es handelt sich dabei um die Markierung von aktiven und inaktiven Bereichen der DNA. Die (teilweise noch lediglich angenommenen) Abbildungsvorschriften, welche die Regeln für epigenetische Vorgänge beschreiben sollen, werden als "epigenetischer Code"3 (Teile davon auch als "Histoncode"4) bezeichnet.

Eine der wichtigsten Methoden um diese Markierung zu erreichen ist die "DNA-Methylierung". Darunter versteht man das Anhängen einer Atomgruppe (Methylgruppe, chemische Formel "-CH3"5) auf eine Nukleobase (Adenin oder Cytosin6) in der DNA.7 Man kann sich dies etwa wie eine hervorgehobene Formatierung in einem Text vorstellen. Wenn ein Wort beispielsweise fett gedruckt wird, so hat dies für den Leser eine besondere Bedeutung.8 Genauso haben auch die methylierten Nukleobasen in der DNA eine besondere Bedeutung.

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Abbildung: Epigenetische Markierungen sind vergleichbar mit Hervorhebungen in einem Text (Symbolbild)

Eine weitere wichtige Methode um die oben beschriebenen Markierungen zu erreichen ist die Modifikation von Histonen. Histone sind Proteine im Zellkern, welche die DNA in strukturelle Einheiten verpacken.9 Die Histon-Proteine bilden dabei ein Gerüst (den sogenannten "Histonoktamer"), um welchen sich die DNA wickeln kann.10 Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, um diese Histone zu modifizieren.

Beispielsweise kann durch Histon-Acetylierung (Ersetzung von Wasserstoff-Atom durch Acetylgruppe, chemische Struktur "-C(O)CH3"11) die entsprechende DNA bevorzugt behandelt (d.h. die Transkription begünstigt) werden. Beispielsweise kann aber auch durch Histon-Methylierung (Anhängen von Methylgruppe "-CH3") die entsprechende DNA (bzw. dessen Transkription) begünstigt oder benachteiligt werden.12

Man kann sich dies wieder wie eine hervorgehobene Textformatierung vorstellen. In diesem Fall ist es so, als ob ein ganzes Kapitel in einem Text (die um die Histone gewickelte DNA) als besonders wichtig oder unwichtig markiert wird.

Warum ist all dies an dieser Stelle so erwähnenswert? Weil sich die oben beschriebene Funktionsweise der Epigenetik im Laufe unseres Lebens verändert. Dabei sind alle unsere Zellen von einer Vielzahl von epigenetischen Veränderungen betroffen.

Stellen Sie sich vor, wenn Sie in Ihrem Bauplan plötzlich die falsche Seite betrachten. Oder denken Sie daran, was passieren würde, wenn in Ihrem Text plötzlich die falschen Textstellen farbig hervorgehoben oder gestrichen werden. Die Folgen können fatal sein. Es ist daher wichtig, solche epigenetischen Veränderungen zu verhindern.

Epigenetische Veränderungen sind daher eines der neun "Kennzeichen des Alterns".13 Als Lösung werden hierfür epigenetische Arzneimittel vorgeschlagen.14

Theoretisch ist es möglich, diese Veränderungen rückgängig zu machen ("epigenetische Reprogrammierung"), und damit neuartige Anti-Aging-Behandlungen zu entwickeln.15 Dieser Vorgang ist im natürlichen Ablauf selbstverständlich: Fast alle epigenetischen Markierungen werden zu Beginn der Entwicklung nach Befruchtung der Eizelle neu programmiert.16 Erst dadurch wird diese Zelle wieder "omnipotent" bzw. "totipotent", ist also alleine wieder in der Lage, einen kompletten Organismus hervorzubringen.

Eine solche Rückprogrammierung wird auch genutzt, um "induzierte pluripotente Stammzellen" (kurz "iPS-Zellen") herzustellen, also künstlich im Labor erzeugte Zellen, bei welchen ausgereifte Körperzellen eines Erwachsenen (z.B. Hautzellen) wieder in potente Stammzellen zurückverwandelt wurden. Der japanische Stammzellenforscher Shin’ya Yamanaka erhielt für die Entwicklung von induzierten pluripotenten Stammzellen im Jahr 2012 den Nobelpreis für Medizin.17

Wissenschaftlern des Salk-Instituts ist es gelungen, das Epigenom von Mäusen zurückzusetzen, indem sie einem Cocktail aus besonderen Chemikalien (den sogenannten Yamanaka-Faktoren) ausgesetzt wurden. Yamanaka-Faktoren lassen die Zellen vergessen, was ihre Aufgabe und Identität war, und können dadurch spezialisierte Zellen wieder in nicht spezialisierte Stammzellen verwandeln. Bei den Tieren konnte dadurch den Zeichen des Alterns entgegengewirkt werden und die Lebensdauer um 30 Prozent verlängert werden. Dadurch eröffnen sich auch Perspektiven für mögliche therapeutische Ansätze zur Verbesserung der Gesundheit und Langlebigkeit beim Menschen.18 19

Video: Epigenetik - Änderungen jenseits des genetischen Codes (von der Max-Planck-Gesellschaft)
Link: https://www.youtube.com/watch?v=xshPL5hU0Kg

Abbildung: DNA wickelt sich um Histonoktamer

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Epigenetik

Seite "Epigenetik". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. Oktober 2020, 17:59 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Epigenetik&oldid=204229651 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:20 UTC)

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Epigenetik#Einf%C3%BChrung

Seite "Epigenetik". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. Oktober 2020, 17:59 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Epigenetik&oldid=204229651 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:20 UTC)

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Epigenetischer_Code

Seite "Epigenetischer Code". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 4. September 2020, 12:39 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Epigenetischer_Code&oldid=203390618 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:21 UTC)

4 https://de.wikipedia.org/wiki/Histon-Code

Seite "Histon-Code". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 28. Januar 2020, 18:21 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Histon-Code&oldid=196276261 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:21 UTC)

5 https://de.wikipedia.org/wiki/Methylgruppe

Seite "Methylgruppe". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 30. August 2020, 09:17 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Methylgruppe&oldid=203233683 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:22 UTC)

6 https://de.wikipedia.org/wiki/DNA-Methylierung#Nukleobasen

Seite "DNA-Methylierung". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 10. Mai 2020, 13:28 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=DNA-Methylierung&oldid=199806371 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:22 UTC)

7 https://de.wikipedia.org/wiki/DNA-Methylierung

Seite "DNA-Methylierung". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 10. Mai 2020, 13:28 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=DNA-Methylierung&oldid=199806371 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:22 UTC)

8 https://de.wikipedia.org/wiki/DNA-Methylierung#DNA-Methylierung_und_die_Nutzung_der_DNA_als_Informationstr%C3%A4ger

Seite "DNA-Methylierung". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 10. Mai 2020, 13:28 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=DNA-Methylierung&oldid=199806371 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:22 UTC)

9 https://en.wikipedia.org/wiki/Histone

Wikipedia contributors. (2020, October 29). Histone. In Wikipedia, The Free Encyclopedia. Retrieved 15:23, November 5, 2020, from https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Histone&oldid=985971394

10 https://de.wikipedia.org/wiki/Histon

Seite "Histon". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 26. August 2020, 13:02 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Histon&oldid=203123719 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:23 UTC)

11 https://de.wikipedia.org/wiki/Acetylgruppe

Seite "Acetylgruppe". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. September 2018, 08:43 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Acetylgruppe&oldid=180585534 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:23 UTC)

12 https://de.wikipedia.org/wiki/Histonmodifikation

Seite "Histonmodifikation". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 24. Juli 2019, 21:14 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Histonmodifikation&oldid=190731173 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:23 UTC)

13 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3836174/#S9title

López-Otín C, Blasco MA, Partridge L, Serrano M, Kroemer G. The hallmarks of aging. Cell. 2013 Jun;153(6) 1194-1217. doi:10.1016/j.cell.2013.05.039. PMID: 23746838; PMCID: PMC3836174.

14 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3836174/#S39title

López-Otín C, Blasco MA, Partridge L, Serrano M, Kroemer G. The hallmarks of aging. Cell. 2013 Jun;153(6) 1194-1217. doi:10.1016/j.cell.2013.05.039. PMID: 23746838; PMCID: PMC3836174.

15 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3336960/

López-Otín C, Blasco MA, Partridge L, Serrano M, Kroemer G. The hallmarks of aging. Cell. 2013 Jun;153(6) 1194-1217. doi:10.1016/j.cell.2013.05.039. PMID: 23746838; PMCID: PMC3836174.

16 https://en.wikipedia.org/wiki/Reprogramming

Wikipedia contributors. (2020, July 10). Reprogramming. In Wikipedia, The Free Encyclopedia. Retrieved 15:24, November 5, 2020, from https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Reprogramming&oldid=966951976

17 https://de.wikipedia.org/wiki/Induzierte_pluripotente_Stammzelle

Seite "Induzierte pluripotente Stammzelle". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 5. Oktober 2020, 09:11 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Induzierte_pluripotente_Stammzelle&oldid=204277324 (Abgerufen: 5. November 2020, 15:24 UTC)

18 https://youtu.be/DDiQGn72Z8M?t=336

The Hallmarks of Aging: Epigenetic Alterations | LifeXtenShow, Kanal: Life Extension Advocacy Foundation, Hochgeladen: 12.12.2019, Abgerufen: 05.11.2020

19 https://www.salk.edu/news-release/turning-back-time-salk-scientists-reverse-signs-aging/

Turning back time: Salk scientists reverse signs of aging, Autor: Salk Institute, Stand: 15.12.2016, Abgerufen: 07.11.2020