Stammzellen: Täglicher Nachschub für den Körper
Stammzellen können sich vermehren und in andere Zelltypen differenzieren. Sie sind die Vorgänger von allen anderen Zellen im Körper und können defekte oder abgestorbene Zellen ersetzen.
Unter Stammzellen versteht man jene Zellen im Körper, die sich entweder in andere Zelltypen differenzieren (spezialisieren) können oder zur Selbsterneuerung auch in weitere Stammzellen vom gleichen Typ teilen können.1 Sie haben also das Potenzial, sich ein Menschenleben lang zu teilen und unterschiedliche Zellen zu erzeugen.2
Stammzellen können nach dem Differenzierungsgrad unterschieden werden. Unsere Zellen spezialisieren sich mit fortlaufenden Teilungen. Bei der Befruchtung verschmelzen die Geschlechtszellen (Gameten) von Mann (Samenzelle / Spermium) und Frau (Eizelle / Ovum) zu einer einzigen Zelle (Zygote). Dabei wird die DNA (und damit die Erbinformation) beider Eltern zusammengeführt.3 In diesem Anfangszustand und auch noch ein paar Tage nach der Befruchtung (während der ersten paar Zellteilungen bis zum sogenannten "8-Zellstadium") sind die Zellen "omnipotent" bzw. "totipotent" ("totus" = lateinisch für "ganz"). Das bedeutet, dass sich aus diesen Zellen ein komplettes Lebewesen entwickeln kann.
Ab diesem Zeitpunkt beginnen sich die Zellen zu differenzieren. Bei weiteren Teilungen spezialisieren sich diese daher auf bestimmte Aufgaben. Mit fortwährenden Teilungen nimmt der Spezialisierungsgrad dabei weiter zu. Pluripotente Stammzellen ("plus" = lateinisch für "viele") können sich zwar immer noch in alle Zelltypen ausdifferenzieren, allerdings kann aus ihnen kein eigener Organismus mehr entstehen. Multipotente Stammzellen ("multis" = lateinisch für "zahlreich") können sich nur noch innerhalb ihrer eigenen Gruppe ausdifferenzieren, während oligopotente Stammzellen ("oligo" = latinisch für "wenig") sich nur noch in wenige Zelltypen ausdifferenzieren können. Unipotente Stammzellen ("uni" = lateinisch für "eines") haben sich schließlich so weit spezialisiert, dass sie nur noch Zellen von ihrem eigenem Zelltyp bilden können.4
Stammzellen können aber auch nach ihrem Vorkommen im Verlauf der Entwicklung des Organismus unterschieden werden. Forscher unterscheiden dabei vor allem zwischen embryonalen und postembryonalen Stammzellen. Embryonale Stammzellen kommen ausschließlich in Embryonen (Keimlinge, nicht geborene Lebewesen in der frühen Form der Entwicklung) vor. Alle anderen Stammzellen, die auch nach der Entwicklung des Embryos im Organismus vorkommen, werden als postembryonale Stammzellen bezeichnet. Diese lassen sich weiter in fötale (bis zur Geburt), neonatale (nach der Geburt) und adulte Stammzellen (im Erwachsenen) unterteilen. 5 6
Während embryonale Stammzellen noch omnipotent (= totipotent) oder pluripotent sind, sind fötale Stammzellen meist pluripotent oder multipotent und adulte Stammzellen meist nur noch multi- oder oligopotent.
Die Unterscheidung zwischen embryonalen und postembryonalen Stammzellen wurde vor allem in Deutschland viel diskutiert, weil die Forschung an embryonalen Stammzellen dort teilweise verboten wurde. Vor allem die Vorgehensweise, dass menschliche Embryonen (also eine sehr frühe Form des menschlichen Lebens) für Forschungszwecke zerstört werden, wurde als unethisch angesehen, und daher in Deutschland verboten.7 Diese Diskussion wurde durch die Erzeugung von sogenannten "induzierten pluripotenten Stammzellen" (iPS) entschärft. Es handelt sich dabei um künstlich im Labor erzeugte (und damit ethisch unbedenkliche) Zellen, wofür als Ausgangsmaterial die ausgereiften Körperzellen eines Erwachsenen (z.B. Hautzellen) verwendet werden. Mit verschiedenen Verfahren können diese schließlich in einen sehr frühen (quasi embryonalen) Zustand "zurückprogrammiert" werden.8
Adulte Stammzellen sind quasi Reservezellen von verschiedenen Geweben auf Lebenszeit. Im Verhältnis zu den anderen Körperzellen sind diese nur in einer relativ geringen Zahl vorhanden, ihre Aufgabe ist dafür aber umso wichtiger. Man kann sie in nahezu allen Körpergeweben des erwachsenen Körpers finden. Dort ersetzen sie laufend defekte oder abgestorbene Zellen.9 Jeden Tag sterben in unserem Körper zwischen 50 und 70 Milliarden Zellen durch Apoptose (programmierter Zelltod, ohne Blutzellen) und müssen ersetzt werden.10 11 Adulte Stammzellen produzieren diese Zellen wieder neu, und sind daher für das Überleben eines Menschen notwendig.12 Dabei werden nicht alle Zellen gleich schnell erneuert. Die Schleimhaut im Magen und im Darm wird beispielsweise mechanisch stark beansprucht und muss in weniger als einer Woche ersetzt werden. Gehirnzellen hingegen müssen deutlich länger halten, weil sie dauerhafte Information speichern. Die Haut erneuert sich etwa einmal im Monat. Unsere Leber ist nach zwei Jahren komplett erneuert, das Skelett nach etwa zehn Jahren. Unser Herz besteht ein Leben lang großteils aus den gleichen Zellen, höchstens 40 Prozent davon werden im Laufe des Lebens erneuert.13 14 15 Zusätzlich werden in einem gesunden erwachsenen Menschen jeden Tag zwischen 100 Milliarden und einer Billion neuer Blutzellen gebildet, weil auch diese nur eine begrenzte Lebensdauer haben.16 Hierfür sind die Blutstammzellen aus dem Knochenmark zuständig.17
Wie man sieht, sind die Stammzellen in unserem Körper recht aktiv. Weil Stammzellen deutlich länger leben als normale Zellen, müssen sie vor einer vorzeitigen Erschöpfung durch zu viele Zellteilungen geschützt werden.18 Die Aktivität der Telomerase wirkt hier der Verkürzung der Telomere in entgegen.19 Außerdem haben Stammzellen die besondere Eigenschaft, dass sie sich in ein Ruhestadium versetzen können, wenn sie nicht gebraucht werden. Man nennt dies "Quieszenz".20
Dennoch lässt die Funktion der Stammzellen im Alter nach. Dies hat man in verschiedenen Stammzellpopulationen festgestellt. Offenbar haben einige Stammzellen eine geringere Expression von Telomerase (wird weniger zum Ausdruck gebracht), die nicht ausreicht, um die Telomere stabil zu halten.21 Die Telomere verkürzen sich also auch in Stammzellen, wenn auch deutlich langsamer (erst bei wesentlich mehr Zellteilungen) als in den meisten anderen Körperzellen. Außerdem können sich zufällige oder durch äußere Einflüsse verursachte Veränderungen im Erbgut (Mutationen) in Stammzellen durch ihre lange Lebenszeit leichter ansammeln.22
Die Stammzellen-Erschöpfung ist daher eines der neun "Kennzeichen des Alterns".23 Als Lösung werden hierfür auf Stammzellen basierende Therapien vorgeschlagen.24
Stammzelltherapien kommen seit vielen Jahren bei der Behandlung von verschiedenen Krebserkrankungen (z.B. Leukämie) zur Anwendung. In den letzten Jahrzehnten wurden viele Arten von Stammzellen entdeckt, isoliert und charakterisiert. Vor allem in den vergangenen Jahren wurden zahlreiche neue Entdeckungen in diesem Themengebiet gemacht.25
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- zum Artikel: Zellteilung
- zum Artikel: Telomere
- zum Artikel: Epigenetik
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1 https://de.wikipedia.org/wiki/Stammzelle
2 https://www.wissensschau.de/stammzellen/adulte_stammzellen.php
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Zygote
4 http://www.biologie-schule.de/stammzelle.php
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Stammzelle
6 https://de.wikipedia.org/wiki/Induzierte_pluripotente_Stammzelle
7 https://de.wikipedia.org/wiki/Stammzellgesetz
8 https://www.wingsforlife.com/de/aktuelles/fast-alles-ueber-stammzellen-3166/
10 https://www.science.lu/de/die-zellpopulation/wie-viele-zellen-sterben-jeden-tag-deinem-koerper
11 https://en.wikipedia.org/wiki/Cell_damage#Apoptosis
12 https://www.wissensschau.de/stammzellen/adulte_stammzellen.php
14 https://www.wissensschau.de/stammzellen/adulte_stammzellen.php
15 http://book.bionumbers.org/how-quickly-do-different-cells-in-the-body-replace-themselves/
16 https://en.wikipedia.org/wiki/Haematopoiesis
17 https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%A4matopoetische_Stammzelle
18 https://flexikon.doccheck.com/de/Quieszenz
20 https://flexikon.doccheck.com/de/Quieszenz
22 https://flexikon.doccheck.com/de/Quieszenz
23 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3836174/#S32title
24 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3836174/#S39title
25 https://de.wikipedia.org/wiki/Stammzelltherapie